Evangelische
Kirchengemeinde
Köngen
 
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20220501
01.05.2022
Tote Beziehungen zum Leben erwecken −
Eine Auferstehungsgeschichte am Sonntag, 1. Mai 2022, dem Sonntag vom "Guten Hirten" (Miserikordias−Domini)
Liebe Schafe, dürfte ich − liebe Gemeinde − am Sonntag des guten Hirtens wohl sagen, oder: liebes Lämmchen, was noch merkwürdiger ist. Pastorin, das ist die Hirtin, die stellvertretend für Jesus für die Schafherde da ist.
„Weil ich Jesu Schäflein bin“ − für viele Menschen ist es nicht mehr vorstellbar dieses Lied zu singen. Für andere wäre es wunderschön, da einzustimmen. Und doch gibt es etwas an diesem alten schönen Motiv vom guten Hirten, das immer noch Menschen anspricht und berührt. Wenn in Gottesdiensten oder Trauerfeiern gebetet wird: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln…“ lässt sich spüren: diese Worte vermitteln Trost, Geborgenheit und Vertrauen.
Auch Jesus beschreibt mit diesem Bild seine Beziehung zu uns: „Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben.“
Jesus zeigt einen guten Weg. Es geht Jesus um das Hören. Kaum ein Tier hat solche Probleme mit der Orientierung wie ein Schaf. Anders als eine Ziege ist ein Schaf auf Hilfe angewiesen, um nach Hause zu finden. Die Stimme des Hirten gibt Orientierung. Vielleicht ist die Suche nach Orientierung und das Hören auf die richtigen Stimmen heute aktueller denn je. Wir sind so vielen Meinungen ausgesetzt. Durchschnittlich erreichen 90−120 Werbebotschaften jede Person jeden Tag mit hirnphysiologisch nachweisbarer Wirkung. Wir werden mit 6.000 Informationen konfrontiert; dabei auch Fake−News, die es uns immer schwerer machen, im lauten Durcheinander die Orientierung zu behalten. So stellt sich die Frage: Welcher Stimme folge ich? In den sozialen Medien kommt es entscheidend darauf an, wem ich folge, auf wessen Nachrichten und Bilder ich mich einlasse. Diese Quellen beeinflussen die Art, wie ich denke, was ich tue und meinen Weg im Leben.
Es geht darum Jesu Stimme aus den unzähligen Stimmen und dem Lärm der Zeit herauszuhören. Wir sind dabei keine gedankenlosen Schafe im Schutz der Herde, sondern Menschen, die ihr Leben aus einem inneren Zentrum heraus gestalten und sich in allen Unsicherheiten und Kämpfen des Alltags bei Jesus geborgen und gehalten wissen. Wir wissen von einer Stimme, die mir hilft, meinen Weg zu finden. So ging es auch Simon, den Jesus Petrus, Fels nennt.
Von ihm hören wir heute. Jesus zeigt Simon Petrus einen neuen Weg und hat eine neue Aufgabe für ihn. Von seiner Arbeit als Fischer hat er ihn weggeholt.
Dorthin ist er nach Jesu Tod dann wieder zurückgekehrt − traurig und verlassen, weil Jesus tot ist; und enttäuscht von sich selbst, weil er seinen besten Freund dreimal verleugnet hat. Dorthin kommt Jesus wieder, erzählt das Johannesevangelium. Jesus begegnet ihm wieder am See und isst mit ihm. Und dann geschieht dies. Unser heutiger Predigttext aus Joh 21, 15−19 erzählt:
„Da sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr, als mich diese lieb haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer! Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst. Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach!„
Hast du mich lieb? Der auferstandene Jesus fragt Petrus dreimal: Hast du mich lieb? Hätte einmal nicht gereicht? Was kann Simon Petrus mehr tun als beteuern: ja, ich habe dich lieb? Jesus muss trotzdem immer wieder fragen.
Denn die beiden haben ihre Vorgeschichte. Schon sehr früh ist Simon Petrus so etwas wie der Star unter den Jüngern. Ein Mann mit Prinzipien und Selbstvertrauen. Einer, der zu Jesus mit voller Überzeugung sagen kann: „Auch wenn alle anderen dich verlassen, ich werde immer an deiner Seite bleiben, selbst wenn es mich das Leben kostet.“
Eine echte Persönlichkeit. Ein Mann mit Führungsqualitäten. So ist es auch keine Überraschung, dass er von Jesus einen Ehrentitel und einen Auftrag bekommt: „Du bist Petrus“, was übersetzt „der Fels“ bedeutet, „und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen.“
Simon, ein Mann wie ein Fels − zuverlässig, beständig und charakterstark, so denken wir dann schnell. Aber Simon Petrus ist auch einer, der schnell mal den Mund zu voll nimmt, wie damals beim Sturm auf dem See. Und dann einfach untergeht.
Später enttäuscht der Hoffnungsträger noch einmal. In der Nacht, in der Jesus verhaftet wird, versagt Petrus. Er flieht zwar nicht wie die anderen, sondern folgt den Soldaten, die Jesus mitnehmen. Während Jesus verhört wird, wartet er draußen. Aber im entscheidenden Moment verlässt ihn seine Tapferkeit.
Hören wir was im Johannesevangelium einige Kapitel zuvor steht: Joh 18, 17.25−27: „Da sprach die Magd, die Türhüterin, zu Petrus: Bist du nicht auch einer von den Jüngern dieses Menschen? Er sprach: Ich bin&bsquo;s nicht.…. Simon Petrus aber stand da und wärmte sich. Da sprachen sie zu ihm: Bist du nicht einer seiner Jünger? Er leugnete aber und sprach: Ich bin‘s nicht. Spricht einer von den Knechten des Hohenpriesters, ein Verwandter dessen, dem Petrus das Ohr abgehauen hatte: Sah ich dich nicht im Garten bei ihm? Da leugnete Petrus abermals, und alsbald krähte der Hahn.“
Petrus hatte früher vehement behauptet: „Ich werde dich nie verleugnen!“ und tat es doch. Drei Mal. Nach diesem Vertrauensbruch sehen die beiden sich jetzt wieder. Sie essen miteinander wie früher. Jesus möchte seinem Freund wieder vertrauen. Jesus übt das richtiggehend. Aber es braucht Zeit und mehrere Anläufe.
„Weide meine Schafe!“, das heißt: Kümmere dich um die, die mir am Herzen liegen! Tritt an meine Stelle! Ein gro6szlig;er Vertrauensbeweis.
Dies ist eine Auferstehungsgeschichte.
Tote Beziehungen können wieder zum Leben erweckt werden. Haben Sie das schon erlebt? Falls ja, dann freue ich mich mit Ihnen über diese Ihre und Eure Ostergeschichte. Falls noch nicht, dann halten wir gemeinsam die Hoffnung darauf hoch: denn auch tote Beziehungen können wieder zum Leben erweckt werden. Dafür braucht: eine Person, die den ersten Schritt wagt.
Und dann ein besonderes Vertrauen und die Gabe zu vergeben und Geduld auf beiden Seiten.
Jesus geht wieder auf Petrus zu. Du bist für mich wichtig. Dein Fehler, dein Versagen führt nicht dazu, dass ich dich nicht mehr brauchen kann. Sondern Jesus sagt: Sorge für die Lämmer und Schafe, für die Kleinen und die Großen.
Simon Petrus ist für diese Aufgabe gerade dadurch die richtige Person, weil er selber schon versagt hat. Er war darüber sehr traurig, hat bitterlich geweint. Petrus hat die eigenen Stärken und Schwächen erlebt.
Wer dies nie erlebt hat, kann sich gar nicht in andere reinversetzen, die am Boden sind, weil sie versagt haben.
Und wer erlebt hat, dass jemand wieder einen Schritt auf ihn oder sie zugegangen ist, kann auch wie Gott und Jesus barmherzig sein. Es gibt wohl kaum etwas, was wir im Leben so sehr brauchen wie diese Erfahrung: jemand verzeiht mir. Unser Miteinander bleibt nicht tot sondern blüht auf und geht weiter.
Reich darf sich schätzen, wer im Leben mit Menschen beschenkt ist, die ihn oder sie bedingungslos lieben, mit allen Stärken und Schwächen. Das Herausragende an dieser Geschichte ist, dass Jesus seine Gemeinde auf Menschen wie Simon Petrus baut. Auf Menschen, die mitten in ihren Begrenzungen und in ihrem Scheitern nicht aufhören, Jesus zu vertrauen und zu folgen. Jesus baut seine Gemeinde auf zerbrechliche Felsen wie Simon Petrus.
Ein unbekannter Autor hat das einmal im Blick auf die biblischen "Helden" treffend auf den Punkt gebracht:
Wenn du denkst, Gott kann dich nicht gebrauchen, dann schau in die Bibel:
Noah war betrunken / Abraham war zu alt / Jakob war ein Lügner / Jeremia war zu jung / David hatte eine Affäre / Elia war ein Selbstmordkandidat / Jona lief weg vor Gott / Johannes war selbstgerecht / Die Jünger schliefen ein beim Gebet / Marta hat sich um alles Sorgen gemacht / Lazarus war tot.
Wenn du das nächste Mal denkst, Gott kann dich nicht gebrauchen  dann schau in die Bibel.
Für mich ist das eine Mut machende Entdeckung, eine gute Nachricht. Sie steht quer zu der Meinung, dass Gott vor allem unsere Stärke gebraucht. Sie steht quer zu den Erwartungen in unserer Gesellschaft, immer die Beste zu sein und keinen Fehler zu geben zu dürfen. An diesen vielen Beispielen aus der Bibel lässt sich erkennen: Gott nutzt menschliche Schwächen, um uns zu barmherzigen und liebevollen Menschen zu formen. Wir sind als Christinnen und Christen eine Gemeinschaft von Menschen, die anerkennen, dass sie die entscheidenden Dinge nicht in der Hand haben. Dieses Eingeständnis schafft einen Raum, in dem Menschen heil werden können. Um solch einen Raum geht es, wenn Petrus den Auftrag erhält: „Weide meine Schafe!“ Ein Auftrag, der auch heute gilt im Blick auf die Menschen, die Gott uns anvertraut:
Als Eltern und Großeltern, als Patinnen und Freunde, als Söhne und Töchter, als Arbeitskolleginnen und Kollegen, als Teil einer Kirchengemeinde können wir uns fragen: Wo kann ich für andere (auch füten und das Scheitern ihren Platz haben. Vielleicht hat die erste christliche Gemeinde so eine Führungsperson gebraucht wie Petrus.
Ein Mann, der die Erfahrung gemacht hat, dass Gott auch nach Fehlschlägen und Scheitern einen Neuanfang schenkt. Und der Menschen wie ihn beauftragt, Menschen Orte zu schaffen, wo sie neu aufglühen. Räume, in denen sie wachsen und lernen können, was es heißt, zu lieben. Lassen wir uns von Jesus verlocken, tote Beziehungen wieder zum Leben zu erwecken oder erweckt zu werden,
wünscht Ihnen/Euch Pfarrerin Ursula Ullmann−Rau