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20220619
19.06.2022
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Versöhnung − Predigt im Gottesdienst auf dem Weg zur 11. Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe |
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Liebe Gemeinde, |
„Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt“ minus; so lautet das Motto der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), die Anfang September in Karlsruhe erstmals in Deutschlang stattfindet. Christ*innen aus aller Welt und aus vielen verschiedenen Konfessionen, aus 349 Kirchen in über 100 Ländern finden zusammen. 5000 internationale Gäste werden in Karlsruhe erwartet, um sich den Fragen nach der Einheit der Kirche, nach Frieden, Gerechtigkeit und der Bewahrung von Gottes Schöpfung zu widmen. Der Weltkirchenrat repräsentiert aktuell rund 580 Millionen Christ*innen. Ökumene − der ganze bewohnte Erdkreis − meint dieses Wort. Oft denken wir zunächst an die Ökumene vor Ort mit der römisch−katholischen Kirche vor allem hier in Köngen noch. Die methodistische Kirche hat sich nach Nürtingen verlagert. Doch es gibt davor auch schon die große weltweite ökumenische Bewegung mit Kirchen mittlerweile auf allen Kontinenten in einer viel größeren bunten Vielfalt − da allerdings fehlt die katholische Kirche als vollständiges Mitglied noch. Als Christin bin ich Teil der weltweiten Kirche Jesu Christi. Das war mir seit Jugendzeiten und dem Besuch des Weltgebetstages ein Anliegen. Und so war die Geschichte der ökumenischen Bewegung Teil meines Examens in Kirchengeschichte. In Schule und Konfirmandenunterricht ist es mir ein Anliegen − und eben auch heute − unseren Blick über den evangelischen deutschen Horizont zu weiten. Die Jugend hat nämlich den Anfang gemacht und gründete Mitte den 19. Jahrhunderts den YMCA/CVJM. Auch schon nach dem 1. Weltkrieg gab es Kirchenkonferenzen mit Teilnehmenden aus vielen Ländern. Und dann während und vor allem nach dem 2. Weltkrieg war deutlich: je besser wir als Christinnen und Christen miteinander unterwegs sind und uns kennen, desto mehr können wir uns einsetzen für ein gerechtes und friedliches Miteinander in der Welt. So kam es zur Gründung des ÖRK 1948 in Amsterdam. Wie ist Versöhnung möglich in einer Welt des Krieges und der Ungerechtigkeit? Die frohe Botschaft, die Paulus und Timotheus weitergeben, gründet in Gottes Handeln und sagt: Gott versöhnt durch den Messias Jesus Christus die Welt mit sich. Die Gesandten Christi geben diese Botschaft an alle weiter, die den 2. Korintherbrief lesen oder hören, und zwar als Bitte. Allein Gott ist der Ursprung. Aber: Gott lässt die Botschaft von der Versöhnung nicht im autoritären Gestus weitersagen. Es ist eine Bitte. „So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ 2. Kor 5, 20 Diese Sprachform entspricht dem Thema Versöhnung. Versöhnung kann nicht erzwungen werden. "Versöhnung" wird häufig im Kontext von Beziehungen verwandt, auch im Bereich von Diplomatie: Beziehungen sollen wiederhergestellt werden; grundlegende Störungen beseitigt werden; Feindschaft in Freundschaft verwandelt. Das ist ungeheuer schwer, weil Menschen oft nur ihr eigenes Sehen wollen. Paulus hatte das Leben im römischen Weltreich vor Augen, in dem Menschen einander unterdrücken, ausbeuten und töten − ein System todbringender Gewalt, ein System der Sünde. Und das gibt es bis heute weiter weltweit − im Jemen, in Syrien, in der Ukraine − aber auch im kleinen, wo Menschen wegen ihrer Herkunft oder Sexualität ausgegrenzt oder gar getötet werden. Paulus und Timotheus schreiben: Menschen sind Feinde Gottes, und zwar, weil sie verstrickt sind in einem System von Gewalt und Ausbeutung und dabei Gottes Zuwendung und seine guten Gebote missachten. Die Hinrichtung Jesu am Kreuz ist eine furchtbare Konsequenz dieses Systems der Gewalt: Der, der für Gott, für Gnade, Solidarität + Gerechtigkeit eintrat, wird von den gewalttätigen Machthabern aus dem Weg geräumt. Das Todesurteil Roms hat aber keinen Bestand. Gottes Wille zum Leben lässt Jesus nicht im Tod. Jesus Christus steht von den Toten auf. Hier ereignet sich erneut Gottes Schöpfung. Und diejenigen, die mit Jesus Christus verbunden sind, also auch wir haben schon jetzt Anteil an der neuen Schöpfung. Darin besteht die Versöhnung Gottes mit den verfeindeten Menschen. Gottes schöpferisches Handeln verwandelt so die Feindschaft der Menschen, die bis jetzt im Herrschaftssystem der Sünde gefangen sind. Diese Botschaft wird nun in Form einer Bitte von Menschen für Menschen weitergetragen: So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Dies sollen wir weitertragen, so wie die Evang. Kirche in Deutschland dies erfahren durfte. Willem Adolf Visser‘t Hooft, der 1. Generalsekretär hat dies gelebt. Schon in den Jahren vor der Gründung des ÖRK während des 2. Weltkriegs war er mit dem Deutschen Widerstand, der "Bekennenden Kirche" in Kontakt und traf Dietrich Bonhoeffer. Eine seiner ersten Aktionen nach Kriegsende war die Einrichtung einer Abteilung für Wiederaufbau und Flüchtlingshilfe. Ökumenische Solidarität war neu gefordert. Aber stärker als der materielle Wiederaufbau beschäftigte Visser‘t Hooft die Aufgabe der Versöhnung. Dabei stand die Problematik einer Wiederbegegnung mit den Deutschen im Vordergrund. Visser‘t Hooft brachte eine ökumenische Delegation zusammen, die im Oktober 1945 völlig überraschend zur ersten Sitzung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland in Stuttgart erschien. Während der mehrtägigen Begegnung kam es zum "Stuttgarter Schuldbekenntnis", das der württembergische Landesbischof Theophil Wurm im Namen der deutschen Kirchen verlas. Darin heißt es: „Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben. Nun soll in unseren Kirchen ein neuer Anfang gemacht werden.“ Dieses Wort brach den ökumenischen Bann, gemeinsames ökumenisches Planen und Handeln schien wieder möglich, weil Buße Versöhnung erlaubte. Für mich ist dies eine wichtige Erkenntnis für heute. Im Kontakt bleiben und immer wieder Schritte aufeinander zugehen und um Versöhnung bitten. Im Moment erleben wir ja hautnaher als in den zurückliegenden Jahrzehnten, wie Krieg Leid und Tod und Not über Menschen bringt. Die russisch−orthodoxe Kirche ist Mitglied im ÖRK und stützt den Angriffskrieg Putins. Sie wird nicht ausgeladen, sondern der ÖRK setzt auf Gespräch mit der nun unabhängigen ukrainisch−orthodoxen Kirche, die selber Mitglied werden will. Ich wünsche mir, dass sie in Karlsruhe gemeinsam aufgenommen werden. Große Herausforderungen wieder. Voraussetzung für ein Gelingen ist für mich, dass Einsicht und Buße von der russisch−orthodoxen Seite ausgesprochen werden. „Die Liebe Christi bewegt, versöhnt und eint die Welt“. Es gibt keine billige Gnade, wie es Dietrich Bonhoeffer einmal benannt hat. Die Einsicht in die eigene Schuld und der Wille zur Veränderung gehört immer auch dazu. Aber auch die Zuwendung Gottes und die Bitte bleiben: So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! und damit auch untereinander und mit denen, mit denen wir in Unfrieden leben, damit Frieden werde und Menschen ohne Angst leben können. |
Ihre/Deine Pfarrerin Ursula Ullmann−Rau |