Evangelische
Kirchengemeinde
Köngen
 
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20240303
03.03.2024
Predigt am Sonntag Okuli
Pfarrerin Martina Steinbrecher
Rundfunkbeauftragte der Evangelischen Landeskirche in Baden beim SWR
martina.steinbrecher(at)kirche−im−swr.de
www.kirche−im−swr.de
Texte: Lukas 9, 57−62 (Schriftlesung) und 1. Petrus 1, 13−21
Liebe Gemeinde,
Jesus nachfolgen. Wie geht das? Mit dieser Frage setzen sich die Bibeltexte des heutigen Sonntags auseinander. Oder etwas weniger fromm formuliert: Wie kann ich ein Leben führen, das zu meinen Überzeugungen passt?
Das Evangelium, das wir gerade gehört haben, zeigt sich da sehr klar und kompromisslos. Christentum? Nichts für Feiglinge! So jedenfalls hört sich das für mich an, wenn Jesus einen, der ihm nachfolgen möchte, geradezu davor warnt. Und ihn fragt: Weißt du überhaupt, worauf du dich da einlässt? Bist du dir über die Konsequenzen im Klaren? Selbst die Füchse draußen haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester, aber ich lebe auf der Straße. Ich hab kein Haus und keine Heimat, kein Versteck und keinen Rückzugsort. Rund um die Uhr stehe ich in der Öffentlichkeit, bin ihrem Blitzlichtgewitter und ihrem Urteil schutzlos ausgeliefert. Wenn du mir nachfolgen willst, wird es dir genauso gehen. Willst du das? Hältst du das wirklich durch? Nichts für Feiglinge.
Den Nächsten, der kommt, spricht Jesus selber an: Komm, folge mir nach! Und der Angesprochene ist auch gar nicht abgeneigt, hat aber die nobelste Ausrede, die man sich vorstellen kann: Sein Vater ist gerade gestorben, und er möchte noch zur Beerdigung gehen.
Ich kenne keinen Chef, der einem seiner Mitarbeiter dafür nicht frei geben würde. Aber Jesus lässt ihn abblitzen: Dein toter Vater oder ich. Jetzt oder nie! Nachfolge duldet keinen Aufschub!
Der dritte, der kommt, stellt es ganz geschickt an. Er legt seine Einwände nämlich schon im Vorfeld auf den Tisch. Jesus, ich will dir nachfolgen, aber. Es gibt da ein paar Einschränkungen. Lass mich noch eben Tschüss sagen. Korrekt Abschied nehmen, einen Schlussstrich unter mein bisheriges Leben ziehen. Meine Verhältnisse ordnen.
Darauf Jesus: Mit mir geht‘s nur in eine Richtung. Und die heißt Vorwärts. Zögern gibt‘s nicht.
Was die drei mit diesen Antworten gemacht haben, ist nicht überliefert. Ob sie Jesus gefolgt sind. Oder es sich doch noch mal anders überlegt haben. Aber ich kenne einen, der hat‘s gemacht. Und Sie kennen ihn auch. Ich meine Alexey Nawalny, den mutigen Putin−Kritiker. Gestorben für seine Überzeugungen. Getötet, weil er einen Ruf gehört hat und ihm konsequent gefolgt ist. Einmal die Hand an den Pflug gelegt, um den Boden zu bereiten für eine gerechtere Welt. Und nicht mehr zurückgezogen. Mein Gott, habe ich damals gedacht, als er im August 2020 seinen Verfolgern und dem Tod durch Vergiftung nur mit knapper Not entkommen ist, warum bist du nicht im Schwarzwald geblieben, in Sicherheit? Sondern sehenden Auges zurück in ein Land, in ein System, das ihn früher oder später vernichten würde. Er hatte ja keinen toten Vater zu beerdigen, sondern hat eine sehr lebendige Frau und zwei Kinder zurückgelassen. Er wusste, was ihn erwartet. Kein warmes Nest, keine rettende Grube, überhaupt kein Schutzraum, sondern ein Gefängnis, totale Isolation, und alle paar Monate ein entwürdigender Käfig, aus dem er sich zeigen durfte. In einem seiner letzten öffentlichen Auftritte hat er, sichtlich abgemagert, aus der Bergpredigt Jesu zitiert: „Selig sind, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit“. Und nun ist er tot. Und sitzt, das glaube ich fest, am Tisch beim himmlischen Abendmahl und isst sich dort satt.
Beeindruckt hat mich, was Polina, eine 28−jährige Russin, nach der Beerdigung von Nawalny am Freitag in ein Mikrofon gesagt hat: „Zu lange saß ich nur gleichgültig zuhause, dachte, irgendeiner werde es schon machen, dass ich in einem freien Land leben kann. Ich ging selten zu Straßenprotesten, vertraute auf andere. Aber nein, ich bin es selbst, die dafür einstehen muss. Das ist Alexejs Vermächtnis.“ Raus aus der Komfortzone, hinaus auf die Straßen, seine Überzeugung vor sich hertragen. Und so wie Polina geht es inzwischen auch vielen hierzulande. Bei uns ist es nicht lebensgefährlich zu protestieren, aber auch hier haben viele Menschen gemerkt, dass sich etwas ändert im Land und dass es an der Zeit ist, Farbe zu bekennen. Öffentlich zu zeigen, wovon man überzeugt ist und wofür man steht. Dass es nicht mehr reicht, das Politikmachen den gewählten Volksvertretern zu überlassen. Auch viele, die noch nie in ihrem Leben auf einer Demo waren, sind in den letzten Wochen auf die Straße gegangen. Nachfolge. Zeigen, was man glaubt. Wofür man einsteht. Dass es einem nicht egal ist, sondern was wert. Ich habe sogar von einem Ehepaar gehört, dass sich entschieden hat, aus diesem Grund bei den anstehenden Kommunalwahlen zu kandidieren.
Wie geht Nachfolge? Und wie kann ich ein Leben führen, das nicht im Widerspruch zu meinen Überzeugungen steht? Der heutige Predigttext aus dem 1. Petrusbrief gibt darauf eine ganz andere Antwort. Dessen Verfasser schreibt:
Umgürtet eure Lenden und stärkt euren Verstand, seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade, die euch dargeboten wird in der Offenbarung Jesu Christi. Als gehorsame Kinder gebt euch nicht den Begierden hin, in denen ihr früher in eurer Unwissenheit lebtet; sondern wie der, der euch berufen hat, heilig ist, sollt auch ihr heilig sein in eurem ganzen Wandel. Führt euer Leben in Gottesfurcht, solange ihr hier in der Fremde weilt.
Ein ganz anderer Zungenschlag und völlig andere Ratschläge. Aus Jesus, dem kompromisslosen Aussteiger, ist ein Heiliger geworden. Aus der Welt, die ordentlich durchgepflügt werden soll, damit sich die Lebensbedingungen ändern, ist die Fremde geworden, ein nur vorläufiger Aufenthaltsort. Nachfolge geschieht am besten unauffällig, man verhalte sich gottesfürchtig und anständig, möglichst ohne aufzufallen oder anzuecken. Gehorsame Kinder statt aufmüpfiger Demonstranten. Wie kommt das? Was ist da passiert? Seit dem Auftreten von Jesus sind ein paar Jahrzehnte vergangen. Das Christentum hat sich ausgebreitet, überall in Kleinasien sind christliche Gemeinden entstanden. An sie ist der erste Petrusbrief gerichtet. Er spiegelt die typische Situation von treuen Christen in einer nichtchristlichen Umgebung. Andere Zeiten fordern plötzlich andere Verhaltensweisen, andere Strategien. Die Devise lautet nun: Nicht auffallen, nicht den Unmut oder den Zorn der Umgebung auf sich ziehen. Seinen Glauben eher im Verborgenen leben. Im Untertauchen überleben.
Ich kenne einen, der hat‘s gemacht. Und sie kennen ihn auch. Vor kurzem wurde sein 125. Geburtstag gefeiert. Ich meine Erich Kästner, den Verfasser grandioser Kinderbücher und wunderbar lakonisch−frecher Gedichte. Als im Jahr 1933 in Deutschland die Nationalsozialisten die Macht übernehmen und ihr systematisches Zerstörungswerk beginnen, ist er schon ein bekannter Schriftsteller. Gerade ist sein Buch "Emil und die Detektive" verfilmt worden. Von den Kindern und Jugendlichen, die in dem Film die Hauptrollen spielen, wird nur einer den Krieg überleben. Die andern: Kanonenfutter. Und Kästner selbst? Seine Bücher landen auf dem Index, später auf dem Scheiterhaufen. Er steht dabei und sieht zu, wie sie verbrennen. Man erkennt ihn, lässt ihn aber unbehelligt. Obwohl er sich immer wieder mit dem Gedanken trägt und auch von anderen gedrängt wird, Deutschland zu verlassen, bleibt er. Und geht in die innere Emigration, hält sich bedeckt und irgendwie über Wasser, schüttelt nur insgeheim den Kopf und versucht halt irgendwie zu überleben in der Fremde. Das Buch über ein Deutschland unter der Diktatur der Nationalsozialisten, für das er eifrig Notizen sammelt, wird er auch nach dem Krieg nie schreiben.
Wie geht Nachfolge? Und wie kann ich ein Leben führen, das zu meinen Überzeugungen passt? Darauf, liebe Gemeinde, kann es die eine, die allgemeingültige Antwort wohl nicht geben. Es kommt auf die Zeitläufte an, das zeigt der Vergleich zwischen zwei biblischen Texten, und das zeigt der Vergleich zwischen zwei Diktaturen. Und abgesehen von den Herausforderungen der jeweiligen Zeit kommt es eben auch auf jede und jeden Einzelnen an. Nicht jeder Mann, nicht jede Frau ist zum Märtyrer geboren. Ich bin es nicht. Ich kenne mich. Und Sie kennen sich.
Aber, soviel kann ich mit einem Liedtext sagen, der mir gut gefällt: „Ich kenne Gottes Ruf und bin dazu bereit, mit ihm an seiner Welt der Liebe mitzubaun. Kein Engel steigt herab, der Feuerwerk entfacht, aus Kriegen Frieden macht. Vielmehr liegt es an mir, bewegt von Gottes Geist, dass wahr wird, sich erfüllt, was wahres Leben heißt.“ Ja, es liegt auch an mir. An mir und dir und allen, die auf welche Weise auch immer sich in der Nachfolge des Mannes aus Nazareth sehen. Eine Zeile aus dem heutigen Predigttext gefällt mir gut. Sie steht dort ganz am Anfang. Da heißt es: „Stärkt euren Verstand. Seid nüchtern und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade.“ Diese drei Sätze machen mir Mut. Ich übersetze sie mir so: Denk intensiv darüber nach, was zu tun ist. Was heute und morgen dran ist. Tu das in aller Nüchternheit. Ohne Zorn und Eifer. Und dann überlege, was dir möglich ist. Tausch dich dazu auch mit anderen aus. Oft ist es nämlich so, dass andere einem mehr zutrauen als man sich selber. Und drittens, ganz, ganz wichtig: Wisse bei all deinem Tun und Lassen, dass die Rettung der Welt nicht in deinen Händen liegt. Sie liegt in Gottes Hand. Überfordere dich also nicht. Und bleib bei allem Engagement fehlerfreundlich. Dir und anderen gegenüber.
Der Predigttext sagt es so: Ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. Er ist schon zuvor ausersehen, ehe der Welt Grund gelegt war, und nun offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen, die ihr durch ihn glaubt an Gott, der ihn von den Toten auferweckt und ihm die Herrlichkeit gegeben hat, sodass ihr Glauben und Hoffnung zu Gott habt.
Wie geht Nachfolge? Und wie kann ich ein Leben führen, das zu meinen Überzeugungen passt? Wie immer du die Frage für dich beantwortest, tu es mit Glauben und Hoffnung.
Amen.